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Politik im globalen Netz Globale Politiknetzwerke und die Herausforderung offener Systeme Thorsten Benner Center for Ge...

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Politik im globalen Netz Globale Politiknetzwerke und die Herausforderung offener Systeme

Thorsten Benner Center for German and European Studies, University of California at Berkeley; Research Associate, Visioning the UN Project.

Wolfgang H. Reinicke Senior Partner, Corporate Strategy Group, Weltbank sowie Director, Visioning the UN Project, Washington D. C

Erscheint in:

Internationale Politik Nr.8/1999

Thorsten Benner/Wolfgang H. Reinicke

Politik im globalen Netz Globale Politiknetzwerke und die Herausforderung offener Systeme Im weltpolitischen Geschehen, so argumentierte Karl Kaiser vor dreißig Jahren, werden die Prozesse immer gewichtiger, „die sich nicht mehr eindeutig einem zwischenstaatlichen Milieu im Sinne des Modells der inter-nationalen Politik zuordnen lassen“.1 Zentrale Konzepte wie das der Souveränität würden durch transnationale Prozesse in Frage gestellt. Der von Kaiser vorgeschlagene Fokus auf Prozesse wurde in der Interdependenz- und Globalisierungsliteratur der folgenden Jahrzehnte meist nur unzureichend aufgegriffen. Die Forschung zu transnationalen Beziehungen erlebte nur eine kurze Blüte und erfuhr erst gegen Mitte der neunziger Jahre eine Wiederbelebung. 2 Der Großteil der Literatur zu internationalen Regimen benutzte Interdependenz lediglich als unabhängige Variable, aus der die Notwendigkeit verstärkter zwischenstaatlicher Kooperation abgeleitet wurde.3 Viele Beiträge zum Thema „Globalisierung“ erschöpfen sich darin, generell eine Verlagerung von Macht von Staaten hin zu Firmen, internationalen Organisationen sowie Nicht-Regierungsorganisationen zu konstatieren. 4 Dies ruft Kritiker auf den Plan, die eine Gegenposition zu diesen Abgesängen auf die Welt souveräner Staaten beziehen. Sie beschreiben das Entstehen einer neuen transgouvernmentalen Ordnung, in der Regierungen untereinander funktional definierte Netze der Zusammenarbeit bilden und so ihre zentrale Rolle in der Weltpolitik wahren. 5 Den Blick auf das Neue verstellen diese Beiträge eher. Letztendlich beschreiben sie Wandel im internationalen System als Nullsummenspiel. Was neue Akteure gewinnen können, müssen Staaten und Regierungen notwendigerweise verlieren. Diese Ansätze beruhen auf der Logik geschlossener Systeme. Die Akteure werden als geschlossene Größen mit fixen Grenzen gesehen, zwischen denen Ressourcen und somit Macht verschoben werden. Eine Bewegung weg von der Logik geschlossener Systeme erlaubt es uns, Karl Kaisers Faden aufzugreifen und das Neue grenzüberschreitender Prozesse zu erfassen, das über das Modell zwischenstaatlicher Politik hinausweist. Der

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Karl Kaiser, Transnationale Politik. Zu einer Theorie der multinationalen Politik, in: Ernst-Otto Czempiel (Hrsg.), Die anchronistische Souveränität. Zum Verhältnis von Innen- und Außenpolitik, Opladen 1969, S. 80. 2 Vgl. Thomas Risse-Kappen (Hrsg.), Bringing Transnational Relations Back In. Non-State Actors, Domestic Structures and International Institutions, Cambridge 1995. 3 Vgl. Robert O. Keohane, After Hegemony. Collaboration and Discord in the World Political Economy, Princeton 1984. 4 Vgl. Jessica T. Mathews, Power Shift, in: Foreign Affairs, Nr. 76 (1997), S. 50-67. 5 Vgl. Anne-Marie Slaughter, The Real New World Order, Foreign Affairs Nr. 76 (1997), S. 183-197.

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Ansatz globaler Politiknetzwerke versucht genau dies konzeptionell durch Rückgriff auf das Modell offener Systeme. Globale Politiknetzwerke bringen in dynamischer, nicht-hierachischer Form die von grenzüberschreitenden Problemen betroffenen Akteure zusammen, um auf der Basis von Interessen- und Wissensdifferenzen in einem ergebnisoffenen Prozeß nach tragfähigen Regelungsformen zu suchen.6 Idealerweise sind globale Politiknetzwerke trisektoral und bilden Brücken zwischen dem öffentlichen Sektor, der Zivilgesellschaft und Unternehmen bisweilen unter Mithilfe internationaler Organisationen. Globale Politiknetzwerke bieten den Akteuren ein Forum, ihre unterschiedlichen Positionen zu diskutieren. Indem Territorialgrenzen kein primäres Kriterium bei der Selektion der beteiligten Akteure bilden, versuchen globale Politiknetzwerke der zunehmenden Inkongruenz zwischen territorial bestimmten politischen Räumen und grenzüberschreitenden ökonomischen, ökologischen, kommunikativen und sozialen Räumen Rechnung zu tragen. Sie sind eine Form der „institutionellen Phantasie jenseits des Nationalstaates“, die Michael Zürn eingefordert hat7 und damit eine mögliche Antwort auf die Organisation der Weltpolitik in „offenen Systemen“. In der hier beschriebenen trisektoralen Reinform sind globale Politiknetzwerke erst in der Entstehung begriffen. Vor allem in den letzten Jahren ist die Entstehung globaler Politiknetzwerke in den Feldern Umwelt (World Commission on Dams, Global Environmental Facility), Entwicklung (Global Knowledge Partnership), Gesundheit (AIDS, Global Coalition for Vaccines and Immunization, „Roll Back Malaria“), Menschenrechte (ISO 14000, SA 8000‚ „rugmark“) sowie Waffenkontrolle (Chemiewaffenkonvention) zu beobachten. Meist entstanden diese Netzwerke als Reaktion auf eine Krise oder aufgrund der Initiativkraft von Einzelpersonen. Dieser Beitrag entwickelt erstens das Konzept globaler Politiknetzwerke mit Rückgriff auf den organisationstheoretisch inspirierten Ansatz offenener Systeme. Zweitens stellt er Konzepte zur Analyse globaler Netzwerke vor. Drittens skizziert der Beitrag Chancen und Risiken sowie die mögliche zukünftige Bedeutung globaler Politiknetzwerke. Globale Politiknetzwerke können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, grenzüberschreitende Problemzusammenhänge in einer nachhaltigen Weise zu gestalten und auch Krisen vorzubeugen bzw. Lösungsansätze aufzuzeigen. Der Beitrag greift auf erste Ideen zurück,

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Zum folgenden vgl. Wolfgang H. Reinicke, Global Public Policy. Governing without Government?, Washington D. C. 1998. 7 Vgl. Michael Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates. Globalisierung und Denationalisierung als Chance, Frankfurt am Main 1998, S. 28.

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die in einem gerade angelaufenen Forschungsprojekt zu „global public policy networks“ im Rahmen des „Visioning the UN“-Projekts entwickelt werden. 8 Von geschlossenen zu offenen Systemem Der Idealtypus geschlossener Systeme geht davon aus, das die Konkurrenz- und Austauschbeziehungen zwischen klar abgegrenzten Einheiten (Territorialstaaten) Grundlage der Analyse internationaler Beziehungen ist. Dementgegen plädieren Christopher Ansell und Steven Weber für einen analytischen Perspektivwechsel hin zu offenen Systemen. 9 Die Porösität und Kontingenz von Grenzziehungen ist ein Grundcharakteristikum der Welt offener Systeme. Liberalisierung kombiniert mit einer Technologie- und Kommunikationsrevolution führen zur Entstehung globaler Produktions-, Dienstleistungsund Kommunikationsnetze. Die Grenzen von politischen, ökonomischen und sozialen Interaktionen verlaufen nun quer zu den etablierten Territorialgrenzen. Grenzen verschwinden nicht, werden jedoch ständig in transnationalen Interaktionsprozessen neu ausgehandelt. Territorialstaatliche Akteure sind weiterhin zentral, müssen sich jedoch verstärkt mit transnational operierenden zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren auseinandersetzen und ihre Position in grenzüberschreitenden 10 Handlungszusammenhängen jeweils neu bestimmen. Die Reaktionen auf die Bewegung hin zu offenen Systemen fallen höchst unterschiedlich aus. Fünf Kategorien können in diesem Zusammenhang unterschieden werden: defensive Intervention, offensive Intervention, regionale Integration, zwischenstaatliche Zusammenarbeit sowie globale Politiknetzwerke. Falls die Kontingenz von Grenzen primär als Bedrohung aufgefaßt wird, überwiegen Abwehrreaktionen (defensive Intervention). Diese können von ökonomischem Protektionismus bis hin zur Verschärfung von Einwanderungsgesetzen reichen. Die Asienkrise liefert hier Anschauungsmaterial – etwa Malaysias Wiedereinführung von Kapitalkontrollen. Diese Versuche, transnationale Handlungszusammenhänge zurück in die politische Geographie der Territorialstaaten zu zwängen, sind nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Jedoch ist der Weg zurück in die Welt geschlossener Systeme mit enormen Kosten (Wohlfahrtsverlusten) durch 8

Das im Juli 1999 angelaufene Forschungsprojekt zu „global public policy networks“ (eine Beschreibung findet sich unter www.globalpublicpolicy.net) ist Teil des viergliedrigen „Visioning the UN“-Projektes. Es hat zum Ziel, die „lessons learned“ aus bestehenden Netzwerken zu extrahieren für einen Bericht, der die zukünftige Rolle der UN in globalen Politiknetzwerken ausleuchten soll. 9 Zum folgenden vgl. Christopher K. Ansell/Steven Weber, Organizing International Politics: Sovereignty and Open Systems, in: International Political Science Review, Nr. 20 (1999), S. 73-93. 10 Vgl. auch Maryann K. Cusimano, Beyond Sovereignty: The Rise of Transsovereign Problems, in dies. (Hrsg.) Beyond Sovereignty. Issues for a Global Agenda, New York 1999, S. 1-40.

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ökonomische und soziale Disintegrationsprozesse verbunden und aufgrund der wechselseitigen grenzüberschreitenden Abhängigkeiten nicht aufrechtzuerhalten. Die Strategie der offensiven Intervention betrachtet den Staat als Spieler im globalen Standortwettbewerb um die attraktivsten Standortbedingungen und versucht den Standort durch Deregulierung, Subventionen oder eine aggressive Außenwirtschaftspolitik (wie die economic diplomacy der Clinton-Administration) zu stärken. Zwar mag dies kurzfristige Vorteile sichern, doch eine langfristige Antwort auf globale Herausforderungen bietet die Strategie der offensiven Intervention nicht. Im Gegenteil: Subventionen führen tendenziell zu einer Fehlallokation öffentlicher Ressourcen und ein Deregulierungswettlauf zu einem weiteren Verlust der staatlichen Handlungsfähigkeit, was protektionistischen und nationalistischen Kräften Auftrieb verleihen kann. Die Strategie regionaler Integration versucht die grenzüberschreitende Probleme durch die Institutionalisierung einer regionalen Politikebene anzugehen. Zwischenstaatliche Zusammenarbeit weist oft über den regionalen Bereich hinaus und instutionalisiert sich in staatszentrierten internationalen Regimen. Diese Formen der Kooperation sind ausführlich erforscht und haben in vielen Fällen auch beträchtliche Ergebnisse erbracht. 11 Doch stoßen rein zwischenstaatliche Kooperationsformen in einer Welt offener Systeme an deutliche Grenzen. Nirgendwo wurde dies deutlicher als bei den Verhandlungen um das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI). Im Rahmen der OECD verhandelten die führenden Wirtschaftsmächte unter Ausschluß der Zivilgesellschaft, bis transnational vernetzte Gruppen Alarm schlugen und eine Kampagne gegen das geplante Abkommen starteten. Zwar waren es entgegen einer verbreiteten Lesart letztendlich nicht die NichtRegierungsorganisationen (NROs) oder zumindest nicht die NROs allein, die das Abkommen zu Fall brachten. Einigen Regierungen diente die transnationale Mobilisierung auch als willkommener Anlaß, um die Verhandlungen scheitern zu lassen. Dennoch machen die Verhandlungen um das MAI deutlich, daß vermeintlich technische Regelungen wie Investitionsabkommen einer rapiden Politisierung unterliegen, wenn ihre Tragweite und Verknüpfung mit anderen Politikfeldern (wie z. B. Umwelt) erkannt und propagiert werden. Die rein zwischenstaatlichen Verhandlungen vermochten es nicht, alle relevanten Akteure an einen Tisch zu bringen und so eine breite Diskussion um eine für alle Beteiligten tragfähige Vereinbarung zu initiieren. Globale Politiknetzwerke

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Vgl. Harald Müller, Die Chance der Kooperation. Regime in den internationalen Beziehungen, Darmstadt 1993.

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Die Einsicht in die Beschränktheit oder das Scheitern rein zwischenstaatlicher Kooperationsprozesse wie auch die suboptimalen Politikergebnisse klassischer internationaler Organisationen bilden den Grundstein für das Entstehen neuer Kooperationsformen. Diese Formen sehen die mit der Bewegung hin zu offenen Systemen verbundene Komplexitätssteigerung globaler Interaktionen mehr als Herausforderung und Chance denn als Bedrohung. Globale Politiknetzwerke versuchen, Vertreter möglichst aller für ein globales Problemfeld relevanten Akteure in einem informellen, nichthierarchischem Umfeld an einen Tisch zu bringen. Sie vereinen idealerweise Vertreter von Nationalstaaten, Unternehmen sowie der Zivilgesellschaft (NichtRegierungsorganisationen, Stiftungen, Kirchen usw.) in einem ergebnisoffenen Prozeß – oft unterstützt von internationalen Organisationen. Sie beruhen auf der Prämisse, daß aufgrund wechselseitiger Abhängigkeiten keiner der beteiligten Akteure allein in der Lage ist, zu tragfähigen Lösungen zu gelangen. Die World Commission on Dams (CSG, www.dams.org) bietet eine eindrucksvolle Illustration. Ihr Ursprung liegt in der Krise des Dammbaus gegen Ende der achtziger Jahre. Aufgrund einer breiten transnationalen zivilgesellschaftlichen Mobilisierung war der Bau von Großdämmen fast zum Stillstand gekommen. Diese Situation war für alle Parteien unbefriedigend: Regierungen, Unternehmen und internationale Entwicklungsorganisationen konnten keine Dammprojekte mehr in Angriff nehmen, Nicht-Regierungsorganisationen waren gezwungen, enorme Ressourcen zu binden, um die Blockade aufrecht zu erhalten. 1997 entschlossen sich dann Vertreter von Reigerungen, NROs, dem Privatsektor und internationalen Organisationen zum Dialog. Im Mai 1998 wurde dann die Kommission etabliert mit dem Auftrag, kooperativ Standards für den sozial und ökologisch verträglichen Bau von Dämmen zu erarbeiten. Die Kommission besteht aus 12 Mitgliedern, die das Spektrum der stakeholder repräsentieren, und wird durch ein ebenfalls repräsentiv besetztes 50-köpfiges Forum ergänzt. Die Kommission bezeichnet sich selbst als „unique experiment in global public policy-making“, und die in der CSG erzielten Ergebnisse werden die Debatte um globale Politiknetzwerke sicherlich nachhaltig beeinflussen. Globale Politiknetzwerke halten politisch Schritt mit den grenzüberschreitenden Kommunikations-, Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken, die bislang keine Entsprechung im politischen Bereich gefunden haben. Sie sind Formen eines „governing without government“, nicht jedoch eines „governing without governments“. Da staatliche Akteure eine zentrale Rolle in den Netzwerken spielen, leiten globale Politiknetzwerke nicht den endgültigen Abgesang auf den Territoralstaat ein. Durch Kooperation in globalen Politiknetzwerken können Staaten Handlungsfähigkeit zurückgewinnen, müssen jedoch gleichzeitig lernen, mit anderen Akteuren in ungewohntem Umfeld zusammenzuarbeiten und 6

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auch neue Rollen zu übernehmen (weniger hierarchische Steuerung, sondern Koordinierung z. B. durch Übernahme der „convenor“-Rolle). Neues Leben in alte Institutionen Globale Politiknetzwerke eröffnen ebenso neue Handlungsmöglichkeiten für etablierte internationale Organisationen. Rolle und Mandat internationaler Organisationen (IOs) haben sich mit Blick auf transnationale Herausforderungen bereits enorm gewandelt. So beschäftigen sich Organisationen wie OECD, WTO, IMF und Weltbank bereits jetzt mit Korruption, Regulierung der Finanzmärkte, Wettbewerbspolitik und Umweltstandards – allesamt Politikfelder, die früher allein Sache der Territorialstaaten waren. Internationale Organisationen werden in ihren neuen Rollen jedoch nur erfolgreich sein können, wenn sie ihre Operationsweise den Bedingungen offener Systeme anpassen. Das bedeutet, daß internationale Organisationen zum einen in regelmäßigem Austausch mit nationalen Bürokratien stehen. Zum anderen müssen internationale Organisationen mit relevanten transnationalen zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren in Kontakt treten. Eine Möglichkeit dazu ist die Partizipation von internationalen Organisationen in globalen Politiknetzwerken. IOs wie die Vereinten Nationen oder die Weltbank können in vielerlei Hinsicht das Entstehen und die Entwicklung globaler Politiknetzwerke fördern. Sie können etwa als Forum fungieren, in dem sich die relevanten Akteure treffen. Oder sie können Ressourcen wie finanzielle Mittel und Wissen bereitstellen und bei der Implementation der in den Netzwerken erzielten Ergebnisse helfen. Beide Funktionen eines „leading from behind“ erfüllen sie bereits heute in einigen wenigen Fallbeispielen (Global Environmental Facility, Global Knowledge Partnership, World Commission on Dams). Im Falle der World Commission on Dams spielt die Weltbank in der Initiierungsphase eine zentrale Rolle, hat sich mittlerweile aber zurückgezogen. Durch die Partizipation in globalen Politiknetzwerken können internationale Finanz- und Entwicklungsorganisationen zu globalen Sicherheitsorganisationen werden. Unter den Bedingungen offener Systeme löst sich die Frage der Sicherheit aus der Perspektive des einzelnen von der Dimension auswärtiger militärischer Sicherheit, und globale Umwelt-, Finanz- und Entwicklungsprobleme geraten in den Blick. Implementation Obwohl die in globalen Politiknetzwerke stattfindenden Diskussionsprozesse in vielerlei Hinsicht einen Wert an sich darstellen, ist es letztendlich die Phase der Implementation, die 7

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über den Erfolg eines Netzwerkes entscheidet. Viele der bestehenden globalen Politiknetzwerke haben die Implementationsphase noch nicht erreicht. Bei der Implementation sollte das Prinzip der Subsidiarität eine zentrale Rolle spielen. Subsidiarität meint hier nicht nur (wie im EU-Kontext) die Berücksichtung untergeordneter Einheiten (was die Bedeutung der lokalen Dimension unterstreicht), sondern auch eine funktionale Subsidiarität. Es sollten diejenigen Akteure an der Implementation beteiligt werden, die am besten in der Lage sind, eine erfolgreiche Umsetzung zu garantieren. Dies bedeutet unter Umständen eine breite Einbeziehung des Privatsektors in Formen gemischter Regulierung, die von intensivem monitoring und verschärften Transparenzbestimmungen begleitet werden sollten. Gemischte Regulierung heißt nicht Privatisierung. Die formale Souveränität verbleibt in den Händen des öffentlichen Sektors. Jedoch können private Akteure wie Nichtregierungsorganisationen als monitoring-Agenturen fungieren (wie im Fall der apparel-industry-Partnerschaft). Viele in Netzwerken erarbeiteten Standards fallen dem Bereich des „soft law“ zu. 12 Dies hat viele Vorteile wie den der Flexibilität, wirft jedoch die Frage auf, wann und durch wen das Nichtbefolgen von vereinbarten Standards und Regeln sanktioniert wird? Aufgrund des häufigen Fehlens einer zentralen Sanktionsmacht spielen bei der Sicherstellung von compliance spielen informelle Strategien (wie z. B. das öffentliche Bekanntmachen von Nichtbefolgung) eine wichtige Rolle. Analyse globaler Politiknetzwerke Globale Politiknetzwerke sind junge Formen internationaler Kooperation und besonders in der trisektoralen Form noch recht selten und wenig erforscht – so fehlt bislang eine Typologie verschiedener globaler Politiknetzwerke nach Struktur und Funktion. Bei der Analyse ist es sinnvoll, zunächst auf die Konzepte und Ergebnisse der Policy-Forschung auf (sub)-nationaler und europäischer Ebene zurückzugreifen. Dies ist auch insofern plausibel, als die komplexen transnationalen Handlungszusammenhänge gleichsam ein natürliches Anwendungsfeld für Netzwerkanalyse darstellen – weil auf weltpolitischer Ebene abgesehen von Kolonialismus und informeller Hegemonie keine formalhierarchischen Beziehungen wie innerhalb des Territorialstaates existieren. Globale Politiknetzwerke sind grenzüberschreitende, „relativ dauerhafte, nicht formal organisierte, durch wechselseitige Abhängigkeiten, gemeinsame Verhaltenserwartungen 12

Vgl. hierzu Wolfgang H. Reinicke/Jan Martin Witte, Interdependence, Globalization, and Sovereignty: The Role of Non-Binding International Legal Accords, in: Dinah L. Shelton (Hrsg.) Commitment and Compliance: The Role of Non-Binding Norms in the International Legal System, Oxford 1999 (i. E.)

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und Orientierungen sowie Vertrauensbeziehungen stabilisierte Kommunikationsstrukturen zwischen Individuen und Organisationen, die dem Informationsaustausch, der kooperativen Produktion eines Kollektivgutes oder der gemeinsamen Interessenformulierung dienen“, um eine etwas hölzerne Definition aus der Policy-Forschung auf die globale Ebene zu übertragen. 13 Sie bringen Akteure mit unterschiedlichen Ressourcen (Wissen, Finanzen), Positionen, Erfahrungen, Interessen und Erwartungen zusammen. Diese Unterschiede (insbesondere Machtasymmetrien) können Probleme für die Zusammenarbeit darstellen, jedoch aus anderer Perspektive auch als Vorteil angesehen werden – als „Stärke der schwachen Verbindungen“ (Granovetter), die die Innovationsfähigkeit und Breitenwirkung eines Netzwerkes begründen. 14 Weil die Akteure innerhalb eines Netzwerkes oft nur schwach verbunden sind und sehr unterschiedliche Kontakte außerhalb des Netzwerkes haben, werden ständig neues Wissen und Informationen in das Netzwerk eingespeist sowie die Ergebnisse des Netzwerkes an einen breiten Kreis weitergeleitet. Wissensmanagement und Lernen Die Prozesse und Resultate von globalen Netzwerken aus staatlichen Akteuren, Unternehmen und der Zivilgesellschaft sind emergent – das Netzwerk ist mehr als die Summe seiner Teile. Der Schwerpunkt bei der Analyse globaler Netzwerke liegt auf den Beziehungen im Netzwerk, nicht den Akteuren an sich. Neben dem Grad der Stabilität des Netzwerks und der internen Beziehungen sind vor allem drei Konzepte relevant für die Analyse globaler Netzwerke: Kommunikation, Wissensmanagement und Lernen. Diese drei Konzepte verdeutlichen die zentrale Bedeutung der kognitiven Dimension und die Nähe zu konstruktivistischen Ansätzen in der Disziplin internationale Beziehungen. 15 Zentral ist, daß Interessen nicht als fix erachtet werden. Die Problemwahrnehmung und damit die Interessen der Akteure selbst können sich also durch Einbindung in Netzwerkstrukturen verändern. Die Analyse von Kommunikationsprozessen in Netzwerken sollte vor allem 13

Vgl. Arthur Benz, Politiknetzwerke in der horizontalen Politikverflechtung, in: Dorothea Jansen/Klaus Schubert (Hrsg.), Netzwerke und Politikproduktion. Konzepte, Methoden, Perspektiven, Marburg 1993, S. 194. Für einen Überblick über die vor allem in der innenpolitischen Forschung angewandenten Netzwerkansätzen vgl. Mark Thatcher, The Development of Policy Network Analyses, Journal of Theoretical Politics Nr. 10 (1998), S. 389-416. 14 Mark Granovetter, The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology, Vol 78 (1973), S. 1360-1380. Hierzu und zum folgenden vgl. Dirk Messner, Die Netzwerkgesellschaft. Wirtschaftliche Entwicklung und internationale Wettbewerbsfähigkeit als Probleme gesellschaftlicher Steuerung, Köln 1995. 15 Vgl. Emanuel Adler, Seizing the Middle Ground: Seizing the Middle Ground: Constructivism in World Politics, in: European Journal of International Relations, Vol. (1997), pp. 319-363.

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überprüfen, ob neben strategischem Handeln (bargaining) auch Argumentationsprozesse (arguing) von Bedeutung sind, in denen eigene Positionen in Frage gestellt werden. Solche Argumentationsprozesse sind wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Wissensmanagement und Lernen. Globale Politiknetzwerke können Wissensmanagement leisten – zum einen dadurch, daß sie diverse, oft entgegengesetzte Perspektiven zusammenbringen sowie wechselseitige Wissens- und Verständnislücken zu überbrücken helfen. Zum anderen können globale Politiknetzwerke Wissen generieren. Dies setzt Lernprozesse bei allen Beteiligten und im Netzwerk selbst voraus. Hier kann man aufbauend auf Haas zwischen einfachem und komplexen Lernen unterscheiden. 16 Einfaches Lernen (Adaption) beinhaltet einen Wechsel der Mittel bei gleichbleibenden Zielen, während komplexes Lernen ein Wechseln des Ziels selbst (etwa von Wachstum hin zu nachhaltiger Entwicklung) meint. Prozesse komplexen Lernens sind jedoch keine selbstverständlichen Kennzeichen von Politiknetzwerken. Komplexes Lernen erfordert den Aufbau von Vertrauensbeziehungen oder oft genug ein vorhergehende Krise. Rein strategisches Handeln ist in Netzwerken ebenso relevant wie in anderen sozialen Zusammenhängen und kann Lernprozesse erschweren bzw. verhindern. Eine vergleichende Untersuchung entstehender globaler Politiknetzwerke steht bislang noch aus – ebenso ein systematischer Vergleich mit trisektoralen Netzwerken auf der (sub)nationalen und europäischen Ebene. Anzustreben ist eine systematische Erfassung der „lessons learned“ aus bestehenden Netzwerken. Was sind die Entstehungs- und Erfolgsvoraussetzungen für globale Politiknetzwerke? Welche Problembereiche eignen sich am besten für globale Politiknetzwerke? Wie ergänzen globale Politiknetzwerke andere Formen internationaler Kooperation? Wie beeinflußt das Umfeld die Erfolgschancen von globalen Politiknetzwerken – sind es nicht letztlich doch die intergouvernmentalen Machtverhältnisse, welche die Ergebnisse entscheidend beeinflussen? Chancen und Risiken Globale Politiknetzwerke haben das Potential, einen wichtigen Beitrag zur Lösung grenzüberschreitender Probleme zu leisten, die keiner der betroffenen Akteure im Alleingang angehen kann. Bislang waren es vor allem Krisen, die alle Parteien (Regierungen, Zivilgesellschaft, Unternehmen sowie in einigen Fällen internationale Organisationen) an einen Tisch gebracht haben. Zu überlegen ist, wie auch ohne 16

Vgl. Ernst B. Haas, When Knowledge is Power. Three Models of Change in International Organizations, Berkeley 1990.

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unmittelbare Krisen die Entstehung globaler Politiknetzwerke gefördert werden kann (etwa im Bereich der Gentechnologie). Hier sind auch internationale Organisationen gefragt, die die notwendigen Ressourcen haben, um die Entstehung globaler Politiknetzwerke zu fördern. Hier gilt es insbesondere, Akteure mit geringer Ressourcenausstattung frühzeitig an Bord zu holen und zu unterstützen. Der Fokus auf die in Netzwerken institutionalisierte Fähigkeit zum Lernen und zum Wissensmanagement sollte nicht von einer Analyse der mit globalen Politiknetzwerken Risiken und Fallstricke ablenken. Die generellen Probleme der Netzwerksteuerung auch für globale Politiknetzwerke relevant: Entscheidungsblockaden durch den Aufbau von Vetopositionen, Koordinationsprobleme, Machtasymmetrien, um nur einige zu nennen. Zudem bergen die „weak ties“ einerseits die Gefahr, zur Desintegration des Netzwerkes beizutragen; andererseits können sie sich zu dichten Beziehungen entwickeln, welche die Innovationsfähigkeit des Netzwerkes verringern. Hier gilt es, eine Balance zwischen der „Kunst des Trennens“ und der „Kunst des Verbindens“ zu halten. Die größten Herausforderungen für den hier vorgestellten Ansatz liegen jedoch woanders: in den Problematiken der Inklusivität und Legitimation. Zum einen dürfen globale Politiknetzwerke, die ihren Namen verdienen, nicht auf die OECD-Welt beschränkt bleiben. Es gilt, auch durch materielle und ideelle Unterstützung gezielt relevante Akteure aus dem Süden einzubinden – auch auf der lokalen Ebene, um zu verhindern, daß globale Netzwerken einen reinen „top-down“-Ansatz verfolgen. Zum anderen führen globale Politiknetzwerke in mancherlei Hinsicht die Legitimationsproblematik globaler Politikprozesse besonders kraß vor Augen: Es findet bei Fehlen einer demokratisch verfaßten globalen polity eine weitgehende Loslösung von der demokratischnationalstaatlichen Basis statt. Es gilt deshalb um so dringlicher, nach Formen demokratischen Regierens jenseits des Nationalstaates zu suchen, in die globale Politiknetzwerke eingebunden werden können. 17 Hier sieht sich der Ansatz globaler Politiknetzwerke den größten konzeptionellen Herausforderungen gegenüber. Doch was sind die Alternativen? Politische Versuche, ein Zurück in die Welt geschlossener Systeme zu erzwingen, bergen hohe Kosten und Gefahren – ebenso ein Verharren im Status quo. Globale Politiknetzwerke hingegen bieten einen – wenn auch unvollkommenen – Ansatz zur politischen Gestaltung offener Systeme. ---O---

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Vgl. Michael Zürn, Democratic Governance Beyond the Nation-State? InIIS-Arbeitspapier Nr. 12/98, Bremen 1998.

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