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DIE WELT

18.05.2011 | Autor: Stefan Koldehoff

Was heißt Moral? Beim Umgang mit NS-Raubkunst soll es "fair und gerecht" zugehen. Ein Fall in Düsseldorf zeigt, wie die jüdischen Opfer heute um ihr Recht gebracht werden Eine einst geleistete lächerliche Entschädigung dient der Stadt Düsseldorf als Argument, den Fall für erledigt zu halten Wer das kleine Schildchen liest, das neben dem prächtigen Stillleben von Abraham Mignon in der Altmeisterabteilung des Düsseldorfer "Museum Kunst-Palast" hängt, könnte fast den Eindruck haben, dass alles in bester Ordnung wäre. "Provenienz Gertrude Bühler, verw. Traube, zwangsversteigert 1935" ist dort seit der prächtigen Wiedereröffnung am vergangenen Wochenende neben dem um 1670 entstandenen "Fruchtkorb an einer Eiche" zu lesen, "entschädigt im Vergleichswege durch das Land Berlin 1962." Und alles klingt, als hätten sich endlich einmal wieder ein deutsches Museum und eine verfolgte Sammlerfamilie so "fair und gerecht" geeinigt, wie es sich die einschlägige "Washingtoner Erklärung" von 1998 wünscht. Auch die Bundesrepublik hat diese rechtlich nicht bindende Selbstverpflichtung unterzeichnet, nach der NS-Raubkunst in öffentlichen Museen künftig nicht mehr nach legalistischen sondern nach moralischen Kriterien behandelt werden sollte - und das bedeutete nach klar festgelegten Kriterien gegebenenfalls auch die Rückgabe eines Kunstwerks an die legitimen Eigentümer, denen es nach 1933 enteignet, gestohlen oder abgepresst worden war. Ein Jahr später bekräftigten Bund, Länder und Kommunen diese Absicht noch einmal in einer gemeinsamen Berliner Erklärung- auch der Deutsche Städtetag und damit auch Düsseldorf. Die Landeshauptstadt scheint sich an die geschichtsbewusste Selbstverpflichtung inzwischen allerdings nicht mehr gebunden zu fühlen. Und nicht nur das: Oberbürgermeister Dirk Elbers, vertreten durch seinen Kulturdezernenten Hans-Georg Lohe, verweigert nicht nur die Rückgabe des zweifelsfrei 1935 zwangsversteigerten Mignon-Gemäldes. Die Stadt verhöhnte die heute in Belgien lebende, 86-jährige Tochter der ursprünglichen Eigentümerin auch noch mit dem Schild, das nun neben dem Bild hängt. Die Familie hat nämlich weder der Nennung ihres Namens zugestimmt, noch jemals, auch nicht durch eine 1962 für den gesamten Hausrat gezahlte Entschädigung in Höhe von 20 000 DM, auf die Rückgabe des - damals nicht aufzufindenden - Bildes verzichtet. Von dem Etikett, das dies aber indirekt behauptet und so der Stadt das Recht an dem Gemälde zuspricht, erfuhr der Anwalt der Familie erst einen Tag vor der Eröffnung des Düsseldorfer Museums per Telefax. Eingeladen wurde die hochbetagte Tochter im nahen Brüssel dazu nicht. Um sich selbst und die drei minderjährigen Kinder weiter ernähren und ihre Flucht ins belgische Exil samt der so genannten "Reichsfluchtsteuer" bezahlen zu können, hatte sich Gertrude Bühler im Frühjahr 1935 zur Versteigerung von großen Teilen des Hausrates und der Kunstwerke in ihrem Besitz entschieden. Den Auftrag übernahm das Berliner Auktionshaus "Union" von Leo Spik, dessen willfährige Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten zurzeit die Ausstellung "Gute Geschäfte" im Berliner Centrum Judaicum belegt. Das Mignon-Bild ersteigerte die Düsseldorfer Galerie Paffrath, um es gleich ans damalige Düsseldorfer Kunstmuseum weiter zu reichen. Die Familie floh. Als allerdings auch Belgien von den Deutschen besetzt wurde, mussten sich die Bühlers vier Jahre lang unter menschenunwürdigen Umständen verstecken. Gertrude Bühler starb noch im Mai 1945, kurz nach Kriegsende, an Auszehrung. Ihre Kinder wussten nicht, wovon sie leben sollten, und hatten weder die Zeit noch die Mittel, konkret nach einzelnen Objekten wie dem Mignon-Gemälde zu suchen - was ihnen der Anwalt der Stadt Düsseldorf als Verzicht auf das Bild interpretiert. So beantragten sie schließlich eine pauschale Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und ließen sich auf die lächerlich niedrige Summe von 20 000 Mark für den gesamten Hausrat ein, die ihnen das Land Berlin vorschlug. Damit aber, argumentiert die Stadt Düsseldorf, habe Familie Bühler endgültig alle Ansprüche für beendet erklärt. Tatsächlich gibt es für diese Rechtsauffassung, die die Stadt Düsseldorf vertritt, keinen Beleg. Und außerdem haben sich auch die deutschen Kommunen 1998 und 1999 ja gerade dazu verpflichtet, an Stelle juristischer Maßstäbe im Falle berechtigter Restitutionsbegehren moralische anzulegen. Dies aber, wird inzwischen nicht nur in Düsseldorf sondern - in vergleichbaren Fällen auch in München und anderen Städten bestritten. Der Wind hat sich seit gedreht, seit findige Rechtsanwälte deutschen Stadtverwaltungen gegen Honorar systematisch einzureden schafften, die Kommunen seien an freiwillige zwischenstaatliche Vereinbarungen von 1998/99 nicht gebunden und verstießen damit sogar gegen geltendes Recht. Dass es sich bei Mignons Stillleben zweifellos um Raubkunst handelt, hat man in Düsseldorf gerade erst mit dem Schildchen neben dem Bild bestätigt, das allerdings das Persönlichkeitsrecht der ehemaligen Besitzer vollkommen ignoriert. Zurückgeben will man das Werk, dessen Marktwert bei etwa 1,5 Millionen Euro liegen dürfte, trotzdem nicht. Düsseldorf sei in diesem Fall Partei und Richter zugleich, stellt Rechtsanwalt Tilo Siewer, der Vertreter der Tochter Gertrude Bühlers, fest. Das aber sei mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates nicht vereinbar. Umso trauriger ist es, dass sich Düsseldorf nicht einmal

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traut, die so genannte "Beratende Kommission" unter dem Vorsitz der ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach anzurufen. Sie soll strittige Raubkunstfälle entscheiden, hat aber den Geburtsfehler, nur bei Anrufung durch beide Parteien tätig werden zu dürfen. Die Anrufung "stehe nicht zur Diskussion" teilte Kulturdezernent Hans-Georg Lohe in kühlstem Bürokratendeutsch mit. Im Museum selbst, ist hinter vorgehaltener Hans zu hören, habe man das Gemälde restituieren wollen. Die Stadtspitze habe schließlich aber die Entscheidung an sich gerissen.

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